Félicie Schlesser: erste Frau im Ettelbrücker Gemeinderat

Am 15. November 2021 wurde die Statue anlässlich des hundertjährigen allgemeinen Wahlrechts in Ettelbrück eingeweiht, für die Félicie Schlesser als Modell diente. Dies war der Anlass für die Reider Redaktion auf das Leben von Félicie Schlesser zurückzublicken.

Geboren wurde Félicie Schlesser am 27. Mai 1883 in Oberfeulen als Tochter des Schullehrers Peter Schlesser und seiner Ehefrau Margaretha Reiter. Am 10. Januar 1905 ehelichte sie in Luxemburg-Bonnevoie den am 22. Oktober 1879 in Holzem (Gemeinde Mamer) geborenen Franz (François) Erpelding. Der Ehe Erpelding-Schlesser entsprangen eine Tochter (Florence 1905-1996) sowie zwei Söhne Ernest (1907-1976) und Robert (1929-2003). Sowohl Erpelding als auch Schlesser waren in der Arbeiterpartei (dem Vorläufer der heutigen LSAP) aktiv. So wurde Erpelding erstmals 1919 in die Abgeordnetenkammer gewählt und er konnte sein Mandat über mehrere Legislaturperioden halten. Am 15. Mai 1917 zog das Ehepaar von Hollerich nach Ettelbruck, wahrscheinlich durch eine berufliche Versetzung des Ehemannes, der bei der Eisenbahn als Lokomotivführer tätig war. Franz Erpelding verstarb am 2. Februar 1961.

Foto aus der privaten Kollektion von Serge Erpelding

Nach Beendigung des Ersten Weltkriegs folgte in Luxemburg eine Zeit der politischen Unruhen und des Wandels. Gemäβ dem Gesetz vom 15. Mai 1919 wurde das allgemeine Wahlrecht eingeführt und somit war es auch den Frauen gestattet zu den Wahlurnen zu schreiten. Es war dies ein wichtiger Schritt zur Gleichstellung von Mann und Frau in der luxemburgischen Gesellschaft. Bereits bei den folgenden Kommunalwahlen am 31. Oktober 1920 stand Félicie Schlechter in Ettelbrück auf der Liste der Arbeiterpartei. Den sofortigen Einzug in das Stadtparlament schaffte sie allerdings nicht. Erst als J.-P. Jacoby aus Ettelbrück wegzog und somit sein politisches Mandat abgeben musste, rückte Félicie Schlesser am 24. September 1921 in den Stadtrat nach. (Gemäβ den Gepflogenheiten jener Zeit ist, dass sie im Protokoll bei ihrem Eidesschwur als « Dame Erpelding Franz, geborene Schlesser Félicie » geführt wird) 1924 wurde sie wiedergewählt, doch bei den Wahlen 1928 konnte sie ihren Sitz nicht mehr zurückgewinnen. Félicie Schlesser war von 1923 bis 1928 auch Mitglied des Hauptvorstands der Arbeiterpartei, sowie Vizepräsidentin der Vereinigung der Gemeinderäte dieser Partei.

Protokoll über die Eidesleistung und Einsetzung der Dame Erpelding Franz Schlesser als Mitglied des Gemeinderates von Ettelbrück

Im Jahre 1921, den 24 des Monats September, um 2 Uhr des Nachmittags, erschien vor dem Unterzeichneten Bürgermeister der Gemeinde Ettelbrück die Dame Erpelding Franz, geb. Schlesser Félicie, wohnhaft zu Ettelbrück, welche laut Mitteilung des H. Generaldirektors des Innern vom

19. September 1921, N: 1900/20 berufen wurde, das Amt einer Stadträtin zu versehen in Ersetzung des H. J. P. Jacoby, welcher die Gemeinde verlassen hat, indem sie am 31. Oktober 1920 zum Ersatzmitglied des Gemeinderates für die Sektion Ettelbrück auf Liste III ernannt worden und erklärte, dieses Amt anzunehmen, worauf die Formel des in Gemäßheit des Art. 110 der Verfassung und des Art. 16 des Kommunalgesetztes vom 24 Februar 1843 zu leistenden und folgendermaßen lautenden Eides; „Ich schwöre Treue dem Großherzog, die Verfassung und die Gesetze des Landes zu beobachten und das mir übertragene Amt mit Eifer, Pünktlichkeit, Rechtschaffenheit u. Unparteilichkeit zu versehen,“ laut und deutlich vorgelesen wurde; Alsdann hob sie die rechte Hand in die Höhe und schwor; „Ich schwöre es, also helfe mir Gott.“

Hiernach wurde sie in ihr Amt eingesetzt und gegenwärtige Verhandlung aufgenommen, welche Comparentin nach Vorlesung mit unterzeichnet hat, zu Ettelbrück, Datum wie eingangs

die Comparentin Félicie Erpelding

der Bürgermeister Lucien Salentiny

Am 21. Dezember 1934 siedelte die Familie Erpelding-Schlesser von Ettelbrück nach Neudorf-Kalchesbruck über. Félicie Schlesser war eine willensstarke Frau; noch im Alter von 86 Jahren trat sie ohne ihre Familie davon in Kenntnis gesetzt zu haben und ohne Begleitung eine Flugreise nach London an. Sie verstarb am 6. Januar 1970 und ist genau wie ihr Ehemann in Oberfeulen bestattet. Sie ist die erste Frau, die in Ettelbrück ein politisches Mandat antrat und hat somit lokale als auch nationale Geschichte geschrieben.

Im Jahr 2015 wurde in Ettelbrück eine Straβe nach ihr benannt. Erst sechzig Jahre nach der Premiere durch Félicie Schlesser wurde bei Gemeindewahlen (1981) mit Margot Feypel-Diederich wieder eine Frau ins Ettelbrücker Stadtparlament gewählt. In einer Doppelfeier am 15. November 2021 wurde nun der 100. Jahrestag des Einzugs Félicie Schlessers in den Ettelbrücker Gemeinderat gewürdigt, zudem wurde des (über) hundertjährigen Wahlrechts der Frauen in Luxemburg gedacht. Bei dem Festakt wurde eine von der Luxemburger Künstlerin Nadine Zangarini geschaffene Bronze-Skulptur, die eine Frau bei der Ausübung ihres Wahlrechts darstellt, enthüllt. Der Aufraggeber dieses Kunstwerks ist der Conseil National des Femmes du Luxembourg. Finanziert wurde das Projekt durch ein groβzügiges Mäzenatentum. Nach Beendigung der Neugestaltung des Ettelbrücker Banhofviertels wird die Skulptur dann dort ihren definitiven Standort finden.

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